Es ist paradox. Feministische Kämpfe der letzten 200 Jahre haben eine Menge erreichen können. Eine unserer Autorinnen sagt gar, dass „der Feminismus“ bisher jede Schlacht für sich entschieden hätte. Darüber können wir streiten. Fakt ist, dass in Deutschland eine Frau an der Spitze des Staates ist, auch die südamerikanischen Länder Chile, Brasilien und Argentinien haben weibliche Staatsoberhäupter. Mädchen sind Bildungsaufsteigerinnen, das weibliche Geschlecht hat sich vielerorts Plätze in diversen gesellschaftlichen Bereichen und Berufen erkämpft. Trotz dieser Erfolge bleibt „der Feminismus“ ein Konzept, zu dem sich selten offen bekannt wird.
Vielen scheint nicht klar zu sein, dass Frauen ohne die historischen Spielarten des Feminismus ihre heutigen Rechte und Freiheiten nicht besäßen.
Um einem weiteren Missverständnis entgegenzuwirken: Beim Feminismus geht es nicht nur um Frauenrechte, sondern um die ganze Gesellschaft, um Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung für alle. Auch Männer können von feministischen Errungenschaften profitieren (wenn sie es denn zulassen): Abschied vom Korsett überkommener Männlichkeitsstereotype, neue Vaterschaft, Partnerschaften auf Augenhöhe wären als Stichworte zu nennen. Feminismus ist nicht nur Theorie, sondern auch eine Art und Weise, die Dinge zu sehen und anzugehen, nämlich gemeinsam, ohne den einsamen autoritären Entscheider (oder auch Entscheiderin, siehe Merkel und Co.), der bzw. die vertikal Anweisungen durchgibt. Hinzu kommt, dass FeministInnen (mittlerweile) viele weitere Machtverhältnisse in ihre Überlegungen und Aktionen einbeziehen, nicht nur das zwischen den Geschlechtern
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Feminismus war nie ein Massenphänomen. In Lateinamerika hatte er von jeher einen schweren Stand, galt vielen als europäischer Import, der nur für Mittelschichtfrauen interessant sei. Selbst Frauen, die gegen den Machismo, ihre Benachteiligung und für ihre Rechte kämpften, bezeichneten sich nicht gerne explizit als Feministinnen. Andere wiederum entwickelten einen den eigenen Bedingungen gemäßen Feminismus, der auch ihre Position als Indígenas, Schwarze und/oder Frauen vom Land mit einbezog.
Die Bewegung und die Theorien haben sich weiter ausdifferenziert, dennoch gibt es feministische „Klassiker“, etwa häusliche Gewalt oder eingeschränkte Bewegungsfreiheit für Frauen bis hin zu gewaltsamen Frauenmorden. Fehlende Selbstbestimmung und der Objektstatus der weiblichen Bevölkerung zeigt sich in ungebrochenen Schönheitsvorstellungen, Modediktaten, dümmlich-anzüglichen Fernsehshows und unsäglichen Werbespots. Sexismus ist eigentlich Mainstream. Auch die ungerechte Lastenverteilung hält sich hartnäckig: Carework, die Fürsorgearbeit, sich also um Kinder, Kranke oder Alte zu kümmern, für sie zu sorgen und sie zu pflegen ist weiterhin mehrheitlich weiblich, sei es nun von direkten Familienangehörigen oder mittels weiblicher Hilfe von außen.
Während einige Länder und Stadtregierungen, wie Uruguay oder Mexiko-Stadt, fortschrittliche Gesetzgebung im Hinblick auf Abtreibung und reproduktive Rechte durchsetzten, gibt es in Ländern wie El Salvador mächtige Rückschläge. Die peruanische Feministin Gladys Acosta meint, dass diese Rechte Indikator für den feministischen Fort- oder Rückschritt seien: „In Peru beispielsweise hat eine Frau im Falle einer Vergewaltigung oder einer Missbildung des Fötus immer noch nicht das Recht auf Schwangerschaftsabbruch.“ Apropos reproduktive Rechte – auch beim Social Freezing, das kürzlich für Medienwirbel sorgte, geht es darum: Das ist die dreiste Idee von Unternehmen wie Apple und Facebook, die ihre jungen Mitarbeiterinnen dafür bezahlen möchten, dass sie ihre Eizellen einfrieren. Damit sie sich schön auf ihre Arbeit konzentrieren und erst zu einem späteren Zeitpunkt Kinder kriegen. Margarete Stokowski sei gedankt für ihre Gedanken dazu in der taz: „Friert mich ein, (…) solange es leichter ist, einem Menschen Hormone zu spritzen, ihn unter Vollnarkose zu setzen, so viele Eizellen wie möglich abzuernten und die Ernte in flüssigem Stickstoff einzufrieren, als Elternzeit und Wiedereinstieg so zu gestalten, dass alle klarkommen.“
Von „neuen“ Zielen kann also schwerlich die Rede sein, weil die alten Forderungen noch gar nicht abgehakt werden können. Wo steht der Feminismus, besser: die Feminismen heute? Welche Diskurse und auszufechtenden Kämpfe gibt es dazu gerade in Lateinamerika? Zu diesen Fragen kommen in der aktuellen ila alte und junge Feministinnen, Männer, Frauen und Queere, vom Land, aus den Metropolen, von der Uni, aus den Bewegungen, indigene, schwarze und weiße Mitstreiterinnen zu Wort.
Reportaje publicado en la Revista ILA
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