4 febrero, 2022
Text: Wolf-Dieter Vogel
Foto: María Fernanda Ruiz
Das neue Jahr begann für Mexikos Journalistinnen und Journalisten noch schlimmer, als das alte zu Ende ging. Innerhalb eines Monats wurden fünf Medienschaffende ermordet. Drei von ihnen waren im Schutzprogramm der Regierung, doch auch das konnte sie nicht retten. Mexiko bleibt eines der gefährlichsten Länder für Reporterinnen und Reporter weltweit.
Lourdes Maldonado war aus Tijuana nach Mexiko-Stadt gereist, um den Präsidenten Andrés Manuel López Obrador über ihre Bedrohung zu informieren. „Ich fürchte um mein Leben“, sagte die Journalistin auf einer Pressekonferenz des Staatschefs. Das war 2019, drei Jahre später wurde sie ermordet. Am 23. Januar dieses Jahres erschossen Unbekannte die 68jährige unweit ihres Hauses. Wenige Tage vorher wurde der Fotograf Margarito Martínez ebenfalls in Tijuana vor seiner Haustüre durch Schüsse getötet. Am 10. Januar starb José Luis Gamboa, der Leiter des Online-Portals Inforegio im Bundesstaat Veracruz eines gewaltsamen Todes. Dann traf es Roberto Toledo. Der 55jährige wurde am 31. Januar vor dem Gebäude der Redaktion „Monitor Michoacán“, für die er arbeitete, erschossen. Am 10. Februar ermordeten drei Männer den Journalisten Heber López Vásquez in Salina Cruz im Bundesstaat Oaxaca. Sie drangen in sein Haus ein und erschossen ihn.
Ein schlimmer Jahresanfang für Mexikos Journalist*innen: fünf ermordete Medienschaffende in einem Monat. Damit erhöht sich die Zahl der seit dem Amtsantritt López Obradors 2018 getöteten Pressevertreter*innen auf 29, seit dem Jahr 2000 sind es 149. Die Organisation für Pressefreiheit Reporter ohne Grenzen (RSF) bezeichnet Mexiko aufgrund dieser Zahlen als das gefährlichste Land für Medienschaffende.
Immer wieder gehen Reporter*innen gegen die Angriffe auf die Straße. Doch die Morde der letzten Wochen haben eine Welle von Protesten ausgelöst, wie sie das Land lange nicht erlebt hat. Von der nördlichen Grenstadt Tijuana bis in den südlichen Bundesstaat Chiapas beteiligten sich Medienschaffende an Kundgebungen, in etwa 50 Städten forderten sie mehr staatlichen Schutz und ein Ende der Straflosigkeit. Sie zeigten Fotos getöteter Kolleginnen sowie Kollegen und stellten in ihren Parolen klar: „Man tötet nicht die Wahrheit, in dem man Journalisten umbringt.“ Knapp 74.000 Menschen unterschrieben bis Mitte Februar eine Petition, in der die Aufklärung der Verbrechen eingeklagt wird. Mobilisierungen dieser Größe hat es zuletzt 2017 gegeben, als die Reporterin Miroslava Breach und der Journalist Javier Valdez gewaltsam ums Leben kamen.
Nur die wenigsten der Morde werden strafrechtlich verurteilt, und das nicht zuletzt, weil korrupte Politiker*innen, Sicherheitskräfte und Jurist*innen es zu verhindern wissen. Häufig sind Personen aus der Politik und der Wirtschaft selbst an den Taten beteiligt. Das liegt beispielweise im Fall von López Vásquez in Salina Cruz nahe. Der Journalist hatte die ehemalige Gemeindevertreterin Arminda Espinosa Cartas kritisiert, weil diese sich um eine Wiederwahl bemühte, um sich den Zuschlag zu einem Bauprojekt zu sichern. Nach der Tat wurden zwei Männer festgenommen, darunter der Bruder von Espinosa. Reporter ohne Grenzen fordert angesichts der korrupten lokalen Strukturen, dass auch nationale Behörden den Fall verfolgen. „Die Versicherung von Präsident López Obrador, dass es ´null Straflosigkeit`nach Verbrechen gegen Medienschaffende geben soll, darf kein Lippenbekenntnis bleiben“, sagte RSF-Vorstandssprecher Michael Rediske.
Um die jüngsten Fälle in Tijuana aufzuklären, hat die Gouverneurin des Bundesstaats Baja California, Marina del Pilar, intensive Ermittlungen angekündigt. Mittlerweile wurden zwar vier Personen festgenommen, drei wegen des Mordes an Maldonado, einer wegen des Todes von Martínez, doch die Tatmotive sind weiterhin unklar. Beide Opfer befanden sich in einem staatlichen Schutzprogramm. Doch auch der damit verbundene Personenschutz konnte sie nicht retten. Maldonado wurde getötet, als die Beamten gerade abgezogen waren.
Der Mord an der Journalistin wirft besondere Fragen auf. Maldonado hatte auf der Pressekonferenz des Präsidenten 2019 auch erklärt, dass sie sich in einem Arbeitskampf mit dem Unternehmer Jaime Bonilla befand und sich von ihm bedroht fühlte. Bonilla, ein politischer Verbündeter López Obradors, wurde damals gerade Gouverneur. Die Jounalistin gewann jüngst ihren Arbeitsprozess und beschuldigte den Politiker der Korruption und Hinterziehung von Staatsgeldern. „Es wird ihm nicht passen, dass eine Journalistin seine Konten überprüft und recherchiert“, sagte sie in einem Video. Drei Tage später war sie tot. Der Kolumnist Julio Hernández López schrieb daraufhin in der Tageszeitung „La Jornada“, es sei zwingend, Bonilla in die Liste der zu ermittelnden Personen aufzunehmen.
Der Fall wirft ein Licht auf die Komplexität des Themas. Auch wenn als Täterinnen oder Täter schnell die Mafia genannt wird, stecken oft auch Politiker oder Unternehmer hinter den Morden. Daniela Pastrana von Periodistas de a Pie verwies darauf, dass in vielen Bundesstaaten die Besitzer von Medienfirmen zugleich Politiker seien: „Wenige Medien außerhalb von Mexiko-Stadt sind frei und fern von der politischen Macht.“ López Obrador verwehrte sich dagegen, „Politisiererei“ zu betreiben. Nach ihrem Besuch der Pressekonferenz habe man Maldonado unterstützt, sagte er und kündigte an, das Schutzprogramm zu überarbeiten. Zugleich gießt er selbst Öl ins Feuer, in dem er ständig kritische Medienschaffende denunziert. Drei Tage nach dem Tod der Reporterin wetterte er erneut gegen Pressevertreterinnen und -vertreter und erklärte: „Nur sehr wenige Journalisten erfüllen die noble Aufgabe, zu informieren.“ Auch nach dem Tod von Heber López Vásquez ging er sofort zur Tagesordnung über und denunzierte kritische Medienschaffende als Teil eines konservativen Komplotts gegen ihn.
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